EuGRZ
29. April 2022
49 Jg. Heft 1-8

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Informatorische Zusammenfassungen

Christian Tomuschat, Berlin, bewertet die „Umwandlung von Empfehlungen (eines UN-Ausschusses) in Rechtspflichten (unter der spanischen Verfassung)“ kritisch und stellt die „Dynamik der spanischen Rechtsprechung zum Menschenrechtsschutz“ im Fall Conzález Carreño vor dem Tribunal Supremo (TS) in ihren völkerrechtlichen Zusammenhang

«Das Urteil des spanischen Obersten Gerichtshofs (Tribunal Supremo, TS) 1263/2018 vom 17. Juli 2018 [s.u. S. 89] hat zu Recht nicht nur in Spanien erhebliches Aufsehen erregt, denn es stellt die ungewöhnliche These auf, dass die Stellungnahme eines Expertenausschusses im Individualbeschwerdeverfahren nach einem der multilateralen UN-Menschenrechtsübereinkommen für die unterlegene staatliche Partei rechtlich verbindlich sei. Diese Auffassung war bisher in der Rechtsprechung der spanischen Gerichte noch niemals vertreten und im Gegenteil mehrfach ausdrücklich abgelehnt worden, und auch außerhalb Spaniens hat sich diese rechtliche Einordnung bisher nicht durchgesetzt, obwohl gelegentlich Versuche unternommen worden sind, den abschließenden Stellungnahmen in einem Individualbeschwerdeverfahren mit Hilfe des nationalen Rechts zur effektiven Geltung zu verhelfen.

Zu würdigen ist die bahnbrechende Entscheidung des TS vor dem Hintergrund der besonderen Umstände des Falles. Für die Klägerin war der Mord an ihrer sechsjährigen Tochter durch ihren früheren Ehemann auch ein die eigene Existenz beschädigender Schicksalsschlag, und sie konnte die ursprüngliche Verweigerungshaltung der spanischen Justiz nur als einen Verrat an den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit empfinden.»

Der Autor kritisiert nicht das Ergebnis der Entscheidung des TS, sondern die Begründung: «Statt sich auf einen plausiblen Begründungsweg zu begeben, entwickelt das TS seine weiteren Gedanken unter Heranziehung der Maßstäbe der spanischen Verfassung (Abschnitt [5], s.u. S. 89), die anordnet (Art. 96), dass völkerrechtliche Verträge nach ihrer parlamentarischen Billigung und ihrer Veröffentlichung im staatlichen Gesetzblatt Bestandteil des internen spanischen Rechts werden, und überdies verfügt (Art. 10 Abs. 2), dass die Grundrechte der Verfassung im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1948 und den von Spanien ratifizierten menschenrechtlichen Übereinkommen auszulegen sind. Damit wird der Boden des Völkerrechts verlassen. Das TS geht nach diesen Festlegungen von einem geschlossenen monistischen Denkmodell aus, wo Völkerrecht und nationales Recht eine Einheit bilden, dabei aber dem Völkerrecht eine Aussage unterstellend, die es gar nicht macht. Für ein höchstes Gericht ist dies ein Irrweg, dessen Ursachen sich nur schwer erklären lassen, der aber wohl in einer gewissen emotionalen Überschätzung der Maßstäbe des internationalen Menschenrechtsschutzes zu finden ist.»

Insgesamt fächert Tomuschat neben der Bewertung des Urteils des TS folgende Facetten der Problemstellung auf: Die Rechtswirkungen von Stellungnahmen zu Individualbeschwerden nach Völkerrecht (hier: CEDAW – Konvention für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau), die institutionellen Merkmale des Verfahrens, die Unterschiede zu gerichtlichen Verfahren, die Follow-up-Verfahren, ein Exkurs zur Verbindlichkeit der Entscheidungen des EGMR, die Alternative zwischen Verbindlichkeit und Irrelevanz und schließlich die Ergänzungsfunktion des nationalen Rechts mit den von BVerfG und Corte costituzionale gewählten Wegen. (Seite 1)

Übersetzung der wesentlichen Teile des hier behandelten Urteils des Tribunal Supremo, EuGRZ 2022, 89 (in diesem Heft).

Helen Keller / Corina Heri / Réka Piskóty, Zürich, entwickeln weiterführende Perspektiven aus dem ersten Klimafall vor dem Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen – „Sacchi u.a. gegen Argentinien u.a. – kein Pyrrhussieg“

«Zum ersten Mal haben sich Kinder und Jugendliche aus der ganzen Welt an den UN-Kinderrechtsausschuss gewandt, um sich gegen die Untätigkeit verschiedener Staaten bei der Bekämpfung der Klimaerwärmung zu wehren. Die Entscheidung über die Zulässigkeit dieser Klimabeschwerde gegen Argentinien, Brasilien, Frankreich, Deutschland und die Türkei ist denn auch mit Spannung erwartet worden. In fünf nahezu identischen Entscheidungen erklärte der UN-Ausschuss für Kinderrechte (UN-AKR) die Mitteilung mangels Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe zwar für unzulässig, anerkannte aber gleichwohl in einem offenen Brief an die Beschwerdeführenden „die Dringlichkeit und Bedeutung“ der Anliegen und nannte die Mitteilung einen „historischen Fall“. Obschon der Ausgang des Verfahrens aus Sicht der Beschwerdeführenden damit wenig erfolgreich war, setzte der Ausschuss sowohl in Bezug auf die Zuständigkeit als auch die Opfereigenschaft neue Maßstäbe, die sich für zukünftige, auf Menschenrechte gestützte Klimaklagen als wegweisend erweisen dürften. Im vorliegenden Aufsatz werden daher zuerst der Gegenstand der Mitteilung und die Auffassungen des Ausschusses dargelegt, um anschließend das mögliche Potenzial dieser Entscheidung für andere Verfahren aufzuzeigen.»

Der Ausschuss stellte fest, «dass eine extraterritoriale Zuständigkeit für die Beeinträchtigung der Rechte von Kindern durch die grenzüberschreitenden negativen Auswirkungen des Klimawandels unter drei kumulativen Voraussetzungen möglich ist: der Verursacherstaat verfügt über eine wirksame Kontrolle der Emissionsquellen, ein hinreichender Kausalzusammenhang kann nachgewiesen werden und die angeblich erlittenen Schäden waren vernünftigerweise vorhersehbar. Damit wies der Ausschuss den Einwand zurück, dass die kollektive Verursachung des Klimawandels Staaten von ihrer individuellen Verantwortung entbinden würde, die in ihrem Hoheitsgebiet entstehenden Emissionen zu mindern, um negative Auswirkungen auf die Rechte von Kindern unabhängig ihres Aufenthaltsorts zu vermeiden. Da der Ausschuss die Zuständigkeit unter Hinweis auf die internationale Rechtsprechung und wissenschaftliche Erkenntnisse begründete, könnte dieser Maßstab grundsätzlich auch auf andere Klimaklagen, die sich auf Menschenrechte stützen, übertragen werden.»

Ein Ergebnis der Analyse lautet: «Die Entscheidungen des Ausschusses stellen zwar bloß eine maßgebende Auslegung der UN-KRK dar, die andere Menschenrechtsorgane oder Gerichte nicht binden. Dies schmälert jedoch nicht die Bedeutung, die den vorliegenden Entscheidungen zukommt. Sie tragen zum Dialog bei und können sich als wichtige Inspirationsquelle erweisen. Dies gilt umso mehr, da sich bisher kaum ein anderes Menschenrechtsorgan mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte befasst hat. So sah sich auch der EGMR noch nicht mit der Frage konfrontiert, wie die Zulässigkeitsvoraussetzungen der EMRK auf Klimafälle anzuwenden sind. Angesichts der vier hängigen Klimabeschwerden [EuGRZ 2021, 163 f.] ist zu erwarten, dass sich der EGMR mit den vom Ausschuss gesetzten Maßstäben auseinandersetzen wird.»  (Seite 7)

Attila Vincze, Brünn, erschließt Inhalt und Mechanismen der Rechtsprechung des ungarischen Verfassungsgerichts zum Vorrang des Europarechts und setzt sich mit der „nolens-volensArgumentation“ des Bundesverfassungsgerichts als missbrauchsgefährdeter Taktgeber unter dem abgewandelten Dürrenmatt-Zitat „unsere Gedanken sind Sprengstoff“ auseinander

Hintergrund ist die Migrationskrise und ihre Handhabung in Ungarn als politisches Mandat: «Ein Teil dieses komplexen Phänomens war die Frage der Beurteilung des push-back-Systems, das der EuGH als unionsrechtswidrig eingestuft hat (2.), wobei die ungarische Regierung dieses Urteil durch das ungarische Verfassungsgericht neutralisieren wollte, da sie der Auffassung war, dass die Auslegung des Unionsrechts mit der Verfassungsidentität Ungarns nicht zu vereinbaren ist (3.). Dies verlangt auch eine Erklärung dafür, welche Rolle ein Verfassungsgericht in einem illiberalen Regime spielt (4.), dabei ist auch der Frage nachzugehen, welche Rolle das Bundesverfassungsgericht als Quelle der Verfassungsidentität für den Missbrauch dieses Gedankens spielt (5.). Zwar handelt es sich hier um eine Urteilsbesprechung, diese soll und kann als Mikrokosmos auch zum Verständnis der Rechtswirklichkeit in illiberalen Regimen beitragen.»

Der Weg des ung. Verfassungsgerichts vom Hüter der Verfassung zum Diener der Regierung wird konkret beschrieben: «Es handelt sich letzten Endes um ein zynisches Theater, in dem die Kulissen der westlichen Verfassungskultur umgekrempelt werden, wo die ausschließlich von der Regierungspartei vorbereitete und abgestimmte Verfassung von einem Gericht interpretiert wird, dessen Mitglieder auch von der Regierungspartei gewählt werden. Dieser Umstand erklärt, welchen Zwecken die abstrakte Auslegung des Grundgesetzes dient: Durch die Verdrehung der bekannten Argumentationsmuster der Verfassungsgerichte der anderen EU-Mitgliedstaaten soll die Position der Regierung legitimiert werden.»

«Gedanken als Sprengstoff? – Der leicht veränderte Satz aus dem Dialog in Dürrenmatts Die Physiker soll im Titel dieses Beitrages auf das Dilemma der Verfassungsgerichte hinweisen. Das Bundesverfassungsgericht ist (wieder) ein Taktgeber geworden und viele europäische Schwesterinstitutionen kopieren (teilweise missbräuchlich) den universal (also von der konkreten Rechtsordnung unabhängig) anwendbar scheinenden Topos der Identität, wobei die Übertragung sowohl vom Donor als auch vom Akzeptor als ein aufgeklärter, rationaler Dialog dargestellt wird. (…)

Einerseits ist es verständlich, warum die Verfassungsgerichte die Grenzen der Übertragbarkeit der Hoheitsrechte immer neu vermessen müssen: Je unbedeutender der souveräne Staat in einem Zeitalter jenseits des souveränen Staatsrechts (after public law) ist, desto unbedeutender ist sein Verfassungsgericht, was sicher frustrierend wirkt. Noch verständlicher ist die Situation des BVerfG, welches den Vorrang des Unionsrechts nie vollkommen anerkannt hat, dessen nolens-volens-Argumentation jedoch bisher eher ein positives Echo gefunden hat, da die Wahrnehmung dieses Gerichts vorrangig durch seine Auslegung der Grundrechte und die Sensibilisierung für die Subsidiarität bestimmt wird und weniger mit der Untergrabung der Unionsrechtsordnung verbunden war. Wenn die Renitenz bisher neue Dimensionen der Integration eröffnete, warum sollte das nicht auch für die Verfassungsidentität gelten? Die Antwort liegt in der Natur der Verfassungsgüter: Die Grundrechte und die Subsidiarität sind universale Rechtsgüter, allen Mitgliedstaaten gemeinsam, und deshalb funktionieren sie zentripetal, d.h. ihre Übernahme trägt zur Bildung einer gemeineuropäischen Verfassungskultur bei. Die Verfassungsidentität ist partikular und funktioniert deshalb zentrifugal, d.h. sie erlaubt die Förderung nationalstaatlicher Überempfindlichkeiten.

Die Tätigkeit des BVerfG kann und soll jedoch nicht mit dem Kampf um die Verfassungsidentität gleichgestellt werden, da seine Rechtsprechung wesentlich vielfältiger und voll von solchen Entscheidungen ist, die (wie die Beschlüsse von 2019 zum Recht auf Vergessen I und II) zum Ausbau einer neuen Grundrechtearchitektur im europäischen Mehrebenensystem weitestgehend beitrugen. (…) Aber eben deshalb sollte eine so prestigehafte und anerkannte Institution auf ihre Argumente achten, weil sie nicht nur im Rahmen eines nationalen Binnendiskurses, sondern auch in einem gesamteuropäischen verwendet werden. Diese Verantwortung ist umso größer, je mehr danach gestrebt wird, im Rahmen eines europäischen Verfassungsgerichtsverbundes die nationalen Verfassungsidentitäten zu schützen.»       (Seite 13)

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, wertet Verurteilung eines Journalisten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe und zu hohem Schadensersatz nach gesellschaftskritischen Äußerungen bezogen auf Berufsorganisationen von Richtern (ASJP) und Staatsanwälten (SMMP) vor einem Parlamentsausschuss als Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) / Freitas Rangel gegen Portugal

Der EGMR führt aus: «Die einzige Tatsachenangabe, um die es hier geht, ist die Kritik des Bf. an der Weitergabe vertraulicher Informationen an Journalisten durch ASJP und SMMP. In dem Strafverfahren gegen ihn verteidigte der Bf. diese Aussage mit dem Hinweis, er sei persönlich Zeuge gewesen, wie eine Verfahrensakte von einem Mitglied der SMMP einem Journalisten gegeben worden sei (…). Der Gerichtshof befindet, dass die Erklärungen des Bf. in dem spezifischen Kontext gewürdigt werden müssen, in dem sie abgegeben wurden. Selbst wenn der fragliche Journalist die Behauptungen des Bf. über die Weitergabe einer Verfahrensakte bestritten hat und die Behauptungen insofern unsubstantiiert blieben, kann die Tatsachenangabe des Bf. als über die spezifische Behauptung hinausgehend und als eher allgemeine Aussage über die Informationsweitergabe der beiden Organisationen gewürdigt werden. Insofern dies als eine übertriebene und demzufolge unglückliche Formulierung angesehen werden kann, können die Stellungnahmen des Bf. durchaus als Illustration einer breiter angelegten Gesellschaftskritik hinsichtlich einer unangemessenen Intervention der Richterschaft als Ganzem gegenüber Politik und Medien interpretiert werden: eine Gesellschaftskritik, die Gegenstand von öffentlichem Interesse war und die er für zutreffend hielt (…).

Der Gerichtshof betont in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung, dass der politischen Rede besonderer Schutz zukommt (…). Trotz der Tatsache, dass der Bf. kein gewählter Abgeordneter war, sollte er als Experte, der eingeladen war, seine Ansichten vor einem Parlamentsausschuss darzulegen, einen erhöhten Schutz genießen, wie dies für parlamentarische und politische Rede der Fall ist.»

Die Höhe der Geldstrafe von 6.000,– Euro und der gerichtlich festgesetzten Entschädigung für immateriellen Schaden der beiden Organisationen von zusammen 50.000,– Euro hält der EGMR für unverhältnismäßig: «Der Gerichtshof ist zudem der Ansicht, dass Sanktionen dieser Strenge eine abschreckende Wirkung bei der Ausübung der Meinungsfreiheit für Personen haben können, die aufgefordert wurden, sich an Diskussionen über Themen von allgemeinem öffentlichen Interesse und über Institutionen zu beteiligen.» (Seite 21)

Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Luxemburg, konkretisiert Grundsatz ne bis in idem (Art. 50 GRCh) bei gleichzeitiger Anwendung europäischen und nationalen Wettbewerbsrechts / hier: bei Verfahren zweier nationaler Kartellbehörden (in Deutschland und Österreich) / Anwendungskriterien bei nationaler Kronzeugenregelung / • Schlussanträge GA Bobek / • Urteil / Rs. Nordzucker AG u.a.

Die Große Kammer des EuGH stellt darauf ab, ob die erste nationale Kartellbehörde das wettbewerbswidrige Verhalten nicht nur im eigenen Land, sondern zugleich auch im zweiten Land sanktioniert hat. Dies ließe sich auch an den Erwägungen zur Höhe der Geldbuße ablesen.

Eine nationale Kronzeugenregelung, bei der ein Kartellverstoß lediglich festgestellt, aber nicht mit einer Geldbuße geahndet wird, kann dennoch dem Grundsatz ne bis in idem unterliegen.       (Seite 37)

Generalanwalt Bobek behandelt in seinen Schlussanträgen grundlegend und umfassend den Grundsatz ne bis in idem in der Rechtsprechung des EuGH. (Seite 26)

EuGH kritisiert den unverhältnismäßigen Widerruf einer Zusicherung der Einbürgerung (in Österreich) nach Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit (von Estland), was zur Staatenlosigkeit und damit zum Verlust der Unionsbürgerschaft führte / Rs. JY

Zur Begründung des Widerrufs der Einbürgerungszusage stellt der EuGH fest: «Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung der Art und Schwere der beiden oben (…) genannten Verwaltungsübertretungen sowie des Erfordernisses einer engen Auslegung der Begriffe „öffentliche Ordnung“ und „öffentliche Sicherheit“ nicht ersichtlich, dass von JY eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, oder eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich ausgeht. In diesen Übertretungen liegt zwar ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, der die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt, doch ergibt sich sowohl aus den schriftlichen Erklärungen von JY als auch aus der Antwort der österreichischen Regierung auf eine Frage des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung, dass diese beiden Verwaltungsübertretungen, die im Übrigen relativ geringe Geldstrafen von 112 Euro bzw. 300 Euro nach sich zogen, nicht so geartet waren, dass JY der Führerschein entzogen worden wäre und ihr damit verboten gewesen wäre, ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen zu führen.

Mit bloßen Verwaltungsgeldstrafen ahnbare Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung können nicht als für den Nachweis geeignet angesehen werden, dass die für diese Verstöße verantwortliche Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, die es rechtfertigen kann, dass der Verlust ihres Unionsbürgerstatus endgültig wird.» (Seite 43)

EuGH billigt bei verbotenem Zigarettenverkauf an Minderjährigen neben der Auferlegung einer Geldbuße (1.000,– Euro) die zusätzliche Sanktion einer 15-tägigen Aussetzung der Lizenz zum Betrieb einer Tabakverkaufsstelle (in Italien) / Rs. PJ

«Die zusätzliche Sanktion stellt in ihrem Zusammenhang gesehen eine Maßnahme dar, die im Fall eines erstmaligen Verstoßes gegen das Verbot des Verkaufs von Tabakerzeugnissen an Minderjährige insbesondere darauf abzielt, den von Wiederverkäufern dieser Erzeugnisse begangenen Verstoß zu bestrafen und sie von einem erneuten Verstoß gegen dieses Verbot abzuhalten (…).

Vor diesem Hintergrund ist unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes und unter Vorbehalt der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen nicht erkennbar, dass ein Sanktionssystem wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende (…) über die Grenzen dessen hinausgeht, was erforderlich ist, um das Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit und insbesondere der Verminderung der Verbreitung des Tabakkonsums bei jungen Menschen zu erreichen.»          (Seite 49)

EuGH ahndet die Verletzung der Amtspflichten in einem EU-Spitzenamt (hier: 2006-2018 belgisches Mitglied im Europäischen Rechnungshof) mit der Aberkennung von 2/3 der Pensionsansprüche / Rs. Pinxten

Der EuGH (Plenum) hat nach ausführlicher Auseinandersetzung mit den gegen Herrn Pinxten erhobenen Vorwürfen u.a. entschieden:

«Herr Karel Pinxten hat im Sinne von Art. 286 Abs. 6 AEUV gegen die sich aus seinem Amt als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs ergebenden Verpflichtungen verstoßen, indem er

– eine nicht gemeldete und rechtswidrige Tätigkeit im Führungsgremium einer politischen Partei ausgeübt hat;

– Mittel des Rechnungshofs in dem in den Rn. 387 bis 799 des vorliegenden Urteils dargelegten Umfang missbräuchlich zur Finanzierung nicht im Zusammenhang mit den Aufgaben eines Mitglieds dieses Organs stehender Aktivitäten genutzt hat;

– eine Tankkarte zum Erwerb von Kraftstoffen für Fahrzeuge Dritter verwendet hat;

– einen Interessenkonflikt im Rahmen einer Verbindung zu der Leiterin einer geprüften Stelle herbeigeführt hat.

Herrn Karel Pinxten werden mit Wirkung vom Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils zwei Drittel seiner Ruhegehaltsansprüche aberkannt.» (Seite 55)

Tribunal Supremo (TS) / Oberster Gerichtshof, Madrid, beschreitet rechtlichen Sonderweg, um eine stattgebende Entscheidung des CEDAW-Ausschusses (UN-Konvention zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau) umzusetzen

Die Klägerin erstrebt die Zulässigkeit eines Amtshaftungsprozesses, weil die spanischen Behörden einen behördlich unbeaufsichtigten Besuch ihres als gewalttätig bekannten geschiedenen Ehemanns zugelassen hatten, in dessen Verlauf dieser ihre gemeinsame Tochter ermordet hatte.

Das Tribunal Supremo führt aus: «Wir stellen zunächst fest, (…) (ii) dass, obwohl weder das Übereinkommen noch das Fakultativprotokoll die Stellungnahmen des CEDAW-Ausschusses für vollstreckbar erklären, kein Zweifel daran bestehen kann, dass sie für den Staat, der das Übereinkommen und das Protokoll anerkannt hat, verbindlich/obligatorisch sind [Hervorhebung hinzugefügt], denn Art. 24 des Übereinkommens verfügt, dass „die Vertragsstaaten sich verpflichten, alle Maßnahmen zu treffen, die auf nationaler Ebene zur vollen Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte erforderlich sind“.» (Seite 89)

Siehe hierzu den Aufsatz von Christian Tomuschat, Die Umwandlung von Empfehlungen in Rechtspflichten / Die Dynamik der spanischen Rechtsprechung zum Menschenrechtsschutz: Der Fall González Carreño vor dem Tribunal Supremo, EuGRZ 2022, 1 ff. (in diesem Heft).

Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, bestätigt Wegweisung eines wegen Drogendelikts verurteilten Nigerianers / Öffentliches Interesse überwiegt private Interessen an einem Verbleib

Das BGer entscheidet: «Der Beschwerdeführer hat ein Drogendelikt aus rein finanziellen Motiven begangen. Nach der Rechtsprechung des EGMR muss selbst ein geringes Restrisiko weiterer Delinquenz nicht in Kauf genommen werden. In aller Regel überwiegt bei Betäubungsmitteldelikten daher regelmässig das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts. Wie dargestellt, ist das öffentliche Interesse sehr gewichtig. Mit seiner Verurteilung von 30 Monaten liegt die Strafe über den zwei Jahren Freiheitsentzug, ab welcher eine Aufenthaltsbewilligung grundsätzlich selbst dann nicht mehr zu erteilen oder aufrechtzuerhalten ist, wenn – wie hier – der Schweizer Konkubinatspartnerin bzw. den Schweizer Kindern nicht zugemutet werden kann, mit dem Konkubinatspartner und Vater in dessen Heimat auszureisen.» (Seite 91)

BGer bekräftigt Auskunftsanspruch eines Journalisten (mit schweizerischer und bulgarischer Staatsangehörigkeit) über ihn betreffende Einträge im Schengener Informationssystem (SIS) bei Verdacht des Missbrauchs durch falsche Angaben bulgarischer Behörden zur Einschüchterung des regierungskritischen Journalisten

Die Angaben der bulgarischen Behörden gegenüber dem Bundesamt für Polizei (fedpol) über das angebliche Untersuchungsverfahren sind lückenhaft und unbestimmt. Das BGer stellt fest: «Unter diesen Umständen darf sich das fedpol nicht mit der negativen Stellungnahme des ausschreibenden Staates begnügen, sondern muss weitere Informationen über Art und Dauer der im ausschreibenden Staat laufenden Untersuchungen einholen und überprüfen, ob sie eine Auskunftsverweigerung rechtfertigen. Diese Vorgehensweise entspricht dem Übereinkommen und erscheint nicht geeignet, die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit der Schweiz im Schengenraum und die Beziehungen der Schweiz zum ausschreibenden Staat und zur gesamten Schengen-Gemeinschaft ernsthaft zu gefährden, wie vom fedpol befürchtet.» (Seite 95)

Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, sieht keinen Grund, die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen Kanada und der EU sowie ihren Mitgliedstaaten (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) zu beanstanden

Deshalb bleiben die Verfassungsbeschwerden (mit 193.092 Bf.) und das Organstreitverfahren der BT-Fraktion DIE LINKE ohne Erfolg: «Gemessen an Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG sowie dem im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm (1.) ist der Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 weder als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren noch werden dadurch die Grundsätze des Demokratieprinzips berührt (2.). Eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG liegt deshalb nicht vor.» (Seite 99)

BVerfG zur Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Grundrechtecharta der EU im jeweiligen Kontext / Ökotox-Beschluss

Der Zweite Senat stellt seiner Entscheidung folgende Leitsätze voran:

«1. Im Geltungsbereich des Rechts der Europäischen Union hängt die Bestimmung der für deutsche Behörden und Gerichte maßgeblichen Grundrechtsverbürgungen grundsätzlich davon ab, ob die zu entscheidende Rechtsfrage unionsrechtlich vollständig determiniert ist.

2. Dies richtet sich in aller Regel nach den Normen, aus denen die Rechtsfolgen für den streitgegenständlichen Fall abzuleiten sind, also danach, ob das streitgegenständliche Rechtsverhältnis und die sich aus ihm konkret ergebenden Rechtsfolgen durch das Unionsrecht oder das nationale Recht festgelegt werden. Maßgeblich sind die im konkreten Fall anzuwendenden Vorschriften in ihrem Kontext, nicht eine allgemeine Betrachtung des in Rede stehenden Regelungsbereichs.

3. Die Grundrechte des Grundgesetzes, die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Grundrechte der Charta der Europäischen Union wurzeln überwiegend in gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen und sind insoweit Ausprägungen universaler und gemeineuropäischer Werte.

4. Nicht nur die Auslegung der im Grundgesetz verbürgten Grundrechte empfängt Direktiven von der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Charta der Grundrechte und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie ihrer höchstrichterlichen Konkretisierung. Auch die Auslegung der Charta der Grundrechte ist an der Europäischen Menschenrechtskonvention und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten in Gestalt ihrer höchstrichterlichen Konkretisierung auszurichten.»

In der Begründung heißt es: «Die Berücksichtigung der genannten Quellen auch bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes ist nicht nur Ausdruck der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und der Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts. Sie trägt vielmehr der Einbindung Deutschlands in den europäischen Rechtsraum und seiner Entwicklung Rechnung, fördert die Stärkung gemeineuropäischer Grundrechtsstandards und vermeidet Friktionen und Wertungswidersprüche bei der Gewährleistung des Grundrechtsschutzes im Interesse seiner Effektivität und der Rechtssicherheit. (…)

Dem steht nicht entgegen, dass die Grundrechtsgarantien der Charta, der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Grundgesetzes etwa im Hinblick auf äußere Form oder institutionelle Einbindung nicht vollständig deckungsgleich sind (…). Ein Großteil der (geringen) Divergenzen beruht weniger auf konzeptionellen Unterschieden in den konkreten Gewährleistungen als auf den unterschiedlichen Konkretisierungen, die diese durch die zuständigen Gerichte erfahren haben. Allerdings dürfen bei der Auslegung der Charta keine partikularen, nur in der Rechtspraxis einzelner Mitgliedstaaten nachweisbare Verständnisse unterlegt werden. Wo derartige Divergenzen bestehen, ist es zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts Aufgabe des Gerichtshofs der Europäischen Union sie im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zu klären.» (Seite 108)

BVerfG konkretisiert seinen Klima-Beschluss und nimmt Verfassungsbeschwerden von Minderjährigen und jungen Erwachsenen gegen als unzureichend angesehene Landesklimaschutzgesetze und/oder wegen gesetzgeberischen Unterlassens in Bezug auf Reduktionspfade für Treibhausgase nicht zur Entscheidung an

«Zur Begründung der Rüge, künftige Freiheit werde unverhältnismäßig beschränkt, muss sich die Verfassungsbeschwerde außerdem grundsätzlich gegen die Regelung der Gesamtheit der gegenwärtig zugelassenen CO2-Emissionen und nicht bloß gegen punktuelles Tun oder Unterlassen des Staates richten. » (Seite 123)

BVerfG setzt sich mit Benachteiligungsrisiken von Menschen mit Behinderungen bei einer Triage in der Coronavirus-Pandemie auseinander / Triage-Beschluss

«Der allgemeine Schutzauftrag des Staates aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verdichtet sich angesichts des Risikos der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen zu einer konkreten Handlungspflicht (1). Der Gesetzgeber hat bislang keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen, um die Beschwerdeführenden wirksam vor einer solchen Benachteiligung zu schützen (2). Es liegt im Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wie er das Schutzgebot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hier konkret erfüllt, ob er also selbst materielle Maßstäbe für die intensivmedizinische Verteilungsentscheidung vorgibt oder andere Vorkehrungen trifft, um wirksam vor Benachteiligung zu schützen (3).» (Seite 125)

BVerfG zum Schutz vor Verächtlichmachung im Internet durch allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG / hier: einer Politikerin / Fall Künast

Hintergrund für die Verfassungsbeschwerde war die im Jahr 2015 noch einmal aufgekommene Debatte über die Haltung der Partei DIE GRÜNEN zur Pädophilie in den 1980er Jahren in einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus, deren Mitglied die Bf. war. Nach einer Unterlassungs- und Schmerzensgeldklage der Bf. gegen einen Bloginhaber eskalierte das Netzecho zu übelster Beschimpfung der Bf. bei Facebook. 22 dieser Kommentare sind im Beschluss des BVerfG wörtlich aufgeführt. Um sich gegen diese anonymen Kommentare zur Wehr zu setzen, klagte sie vor dem LG Berlin und dem Kammergericht auf die gesetzlich notwendige gerichtliche Anordnung der Herausgabe der Bestandsdaten gegenüber der Social-Media Plattform. Dem wurde nur unvollständig entsprochen.

Das BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats) führt u.a. aus: «Die vom Fachgericht begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwerdeführerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzt die erforderliche Abwägung [mit der Meinungsfreiheit der Facebook-Nutzer] nicht, bei der auch zu berücksichtigen wäre, dass ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern auch im öffentlichen Interesse liegt.» (Seite 140)

BVerfG beurteilt die Fassung des Straftatbestands verbotener Kfz-Rennen (§ 315d Abs. 1 Nr. 3) StGB als verfassungskonform

Der Zweite Senat stellt u.a. fest: «Die Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist zunächst an den aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verpflichtungen des Gesetzgebers zu messen (a), während die von den Gerichten einzuhaltenden Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG nur insofern Bedeutung erlangen, als sich aus ihnen ergibt, was die Rechtsprechung in Ergänzung zum Gesetzgeber leisten kann und darf (b). Eine Verletzung des Verschleifungsverbots ist bei methodengerechter Auslegung vorliegend ausgeschlossen (c).» Zu dem unter (c) beschriebenen Verbot präzisiert das BVerfG: «Einzelne Tatbestandsmerkmale dürfen – auch zum Schutz des Normadressaten – innerhalb ihres möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden (Verbot der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen).»                 (Seite 145)

BVerfG warnt die Pressekammer des LG Berlin vor wiederholter Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) in Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung

Im Ausgangsverfahren ging es um die Berichterstattung in Wort und Bild eines Presseverlags über ein Richtfest für das im Bau befindliche Anwesen der prominenten Antragstellerin. Das Landgericht hatte die einstweilige Verfügung nach mehreren Hinweisen an die Antragstellerin erlassen, ohne die Gegenseite (hier: Verfassungsbeschwerdeführerin) zu informieren.          (Seite 160)

Ministerkomitee des Europarats (MK), Straßburg, schließt Russland wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine am 16. März 2022 aus dem Europarat aus

Die EuGRZ dokumentiert die Chronologie der getroffenen Entscheidungen: Nach der russischen Invasion (in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2022) tritt das MK bereits am 24. Februar 2022 zu einer Sondersitzung zusammen und beschließt, am folgenden Tag über Sanktionen entscheiden zu wollen. Tatsächlich wurden am 25. Februar 2022 Russlands Vertretungsrechte im Ministerkomitee und in der Parlamentarischen Versammlung suspendiert.

Die Versammlung empfiehlt auf einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung am 14./15. März 2022 einstimmig, Russland zum Austritt aufzufordern bzw. auszuschließen (Opinion 300). Am 15. März erklärt Russland seinen Austritt. Das MK schließt Russland am 16. März 2022 mit sofortiger Wirkung aus dem Europarat aus. Das MK entscheidet am 23. März 2022 über die rechtlichen und finanziellen Folgen der Beendigung der Mitgliedschaft der Russischen Föderation. An die EMRK bleibt Russland wegen der sechsmonatigen Kündigungsfrist (Art. 58 EMRK) bis zum 16. September 2022 gebunden.  (Seite 165)

EGMR-Präsident stellt auf seiner Jahrespressekonferenz in Straßburg die im Jahr 2021 eingeführte Kategorie der „Breitenwirkungs-Fälle (impact cases)“ vor und erinnert u.a. an die ab 1. Februar 2022 von sechs auf vier Monate verkürzte Beschwerdefrist. Außerdem wird die Statistik des EGMR per 31. Dezember 2021 vorgelegt. (Seite 168)

Stellungnahme der Bundesregierung vom 3. August 2021 zum Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der verfassungsgerichtlichen ultra-vires-Behauptung im Urteil des BVerfG vom 5. Mai 2020 (PSPP-Programm der EZB). Das Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) wird am 2. Dezember 2021 von der EU-Kommission eingestellt. (Seite 169)

EGMR (Plenum) entscheidet über die Folgen der Beendigung der Mitgliedschaft Russlands im Europarat im Lichte von Art. 58 EMRK

Der Gerichtshof bleibt für sämtliche bereits anhängigen Beschwerden zuständig und für künftige Beschwerden, die sich auf Geschehnisse beziehen, die sich bis zum 16. September 2022 ereignen.              (Seite 171)

BVerfG – Übersicht über die im Jahr 2022 u.a. zur Entscheidung anstehenden Verfahren (Seite 171)